Dienstag, 4. August 2009

Schrittlenkung in der Marienkirche



Bravo Milord

...gerade schiebt ein Obdachloser sein vollbepacktes Wägelchen unter meinem Fenster vorbei, ich beuge mich hinaus und höre ihn singen: Laissez-vous faire, Milord, venez dans mon royaume.
Er trägt ein fadenscheiniges, mit Muscheln besetztes Goralen-Hütchen, seine Stimme füllt mein Zimmer aus. Überhaupt: Danzigs Gesicht in einem Park, 100 Meter vom brodelnden Stadtzentrum entfernt. Während des morgendlichen Kaffees habe ich innerhalb von zehn Minuten mehrere Menschen beobachtet, die hintereinander denselben Mülleimer untersucht haben. Einer hatte eine besonders ausgefeilte Technik: Mit einem langen Stab durchwühlte er auch die Glas- und Altpapiercontainer.

Im Park, in einem dichten Wacholdergebüsch, wohnt außerdem ein schwarzer Kater. Ich beobachte ihn dabei, wie er sich von alten Damen mit alten Brötchen füttern lässt. Ich glaube, es geht ihm gut. Vorhin ist er über den Rasen gejagt, einer Phantom-Maus hinterher.

...und noch etwas, was ich nur im Blog schreiben kann, in einem Roman kämen sofort Beanstandungen, wie konstruiert und klischiert das Bild wäre: Ebenfalls während des morgendlichen Aus-dem-Fenster-Starrens wurden drei Schornsteinfeger gesehen. Sie gingen über die Straße, einer bückte sich und versuchte den schwarzen Kater anzulocken. Der Kater erstarrte und verschwand im Wacholder. Die anderen beiden Schornsteinfeger lachten.

Klub Pisarza

Gestern Abend, eigentlich war der Tag schon vorbei, saß ich noch im Klub Pisarza, gleich bei der Bazylika Mariacka. Auf der Karte der Bar steht, dass sie sich durch ein ganz besonderes Krakauer Flair auszeichnet. Die Wände sind demnach auch dunkel gestrichen, es hängen ein, zwei groteske Dinge an der Wand, und in der Ecke steht eine Büchervitrine. Dennoch: Krakau bleibt Welten entfernt.
Der Plan ist, sich so schnell und so gut wie möglich mit Danzig bekannt zu machen. Eine dumpfe Vertrautheit möchte ich aber vermeiden, ein Quentchen Befremdung, eine Prise Abstand hat noch jedem Text gut getan.

Der Wind hat Ostseeluft zu den Tischen des Klubs herübergeweht, und mit meiner Begleitung habe ich über Grenzgebiete geredet, über afrikanische Stammeskunst und die Kaschuben, Ein Bier später über die Großeltern, Eltern und schließlich die Kinder. Noch bevor mehr Bier konsumiert war, habe ich gewarnt: Seine Geschichten vor einem Schriftsteller auszubreiten, bleibt immer ein Fährnis. Man winkte ab, der Roman wird noch auf sich warten lassen. Mit dem Blog hat man nicht gerechnet. Nennen wir also meine Begleitung Malgorzata, und gehen wir davon aus, dass Malgorzata ebenfalls aus einer deutsch-polnischen Familie stammt und diese Region Polens par excellence präsentiert. Malgorzata lebt nicht in Danzig. Jedenfalls nicht im Text dieses Blogs. Wer weiß, wie es in späteren Fassungen aussehen wird. Was jetzt noch Bestandsaufnahme ist, unterläuft bald schon einer Fiktionalisierung.

Straight Slavic Flavour

Gdańsk w CNN, największa kampania reklamowa miasta



Montag, 3. August 2009

Jetzt

....ist es offiziell: heute nachmittag war die Presse-Konferenz, in der ich als Stadtschreiberin vorgestellt wurde. Es war so polnisch, wie ich es mir erhofft hatte, schon nach wenigen Minuten hagelte es Umarmungen und Einladungen zu Heiligabend. Ein eiliger Blick auf meinem Kalender bestätigte, dass erst August ist. Zeit, aufzuatmen. Und zu schreiben: Morgen geht es los, die kostbare Zeit des Morgens nutzend. An einem Nachmittag, habe ich mir einmal sagen lassen, ist noch nichts großes entstanden.

Am Fenster

Seit zwei Tagen bin ich hier, und seit zwei Minuten habe ich zusätzlich zu meinem Fenster zu Danzig ein Fenster zur Welt: Internet! Gerade waren Michal und ein sehr schüchterner Techniker da, haben heimlich im Flur geflucht und viel mit Kabeln gewirbelt. Wasser wollten sie nicht, auch Kaffee haben sie abgelehnt, das muss an einer Art ungeschriebenem Höflichkeitskodex liegen, den mitbekommt, wer in Polen geboren wurde und aufwuchs.
Mit dem Pfund kann ich nicht wuchern: Als Halb-Polin, Ganz-Hybridin, bin ich in Deutschland aufgewachsen. 



Du sprichst aber gut Polnisch, hat Michal zum Abschied gesagt, und einen schnellen Blick auf meinen mit Büchern und Broschüren zugestellten Schreibtisch geworfen, und ich hatte abgewunken. Ich schreibe auf Deutsch, auf Polnisch könnte ich es nicht. Auch die Texte, die hier entstehen werden und schließlich das, was man Roman nennt, werden auf Deutsch sich entwickeln.-

Draußen scheint die Sonne, Danzig hat sein Sommerkleid angezogen, und Blumenfrauen haben mein Auto umstellt, bis heute Abend also bleibt es umrankt von Nelken und Sonnenblumen. Möwen zerschneiden den Himmel, ich werde sie vermissen, das weiß ich schon jetzt.
Jetzt also: Das Blog. Eine eigentümliche Vorstellung: Dass andere lesen, was man sonst für sich, kaum eingestanden, in Heftchen notiert und schon nach einigen Monaten kaum mehr entziffern kann.
Viel anders möchte ich es aber nicht halten müssen. Meine Texte unterlaufen Dutzenden von Abänderungen und Überarbeitungen, der Blog soll freier sein, unmittelbarer. Mit dem heutigen Tag geht es los, er ist der Startschuss ins Stadtschreibertum und in das Blog hinein.