Montag, 31. August 2009

Mural. Piotr Szwabe

Zeichen an der Wand

Große Kunst in Zaspa, und außerdem das große Glück, sie mit einem talentierten Künstler zu begutachten: Piotr Szwabe, selbst Schöpfer einiger der interessantesten Wandmalereien. Mural, Monumental Art: Im wahrsten Sinne haushoch von ordinären Grafittis entfernt. Über die ganze Wand ziehen sich sich da spektakuläre Gemälde, furiose Farbmischungen, Szenen, vor denen Menschen immer wieder stehen bleiben und sie bestaunen.

Künstler haben Zaspa in eine gigantische Freiluftgalerie verwandelt. Sonst eine triste, monotone Siedlung mit etwa 14.000 Einwohnern, hat es eine unheimliche, visuelle Aufwertung erfahren. An dem Haus, in dem Walesa einst wohnte, prangt ein gigantisches, pixeliges Walesa-Antlitz. Je weiter man sich davon entfernt, desto besser sichtbar wird sein Gesicht...

Natürlich sind die Malereien nicht auf einem Fleck, man muss sie sich ersuchen, durch Zaspa schlendern, es langsam kennen lernen, sich immer wieder verlaufen in den ausgedehnten Grünflächen. Und dann belohnt werden von einem gigantomanischen Stück Kunst. Die Ältesten sind übrigens über 10 Jahre alt und halten immer noch - die jüngsten stammen aus diesem Jahr und wurden von internationalen Künstlern angefertigt.
Zaspa, ein klassischer Geheimtip. Zu sehen wird übrigens unser Spaziergang und einiges mehr sein am Dienstag, um 21:45 im heutejournal des ZDFs, außerdem ein Beitrag in den Tagesthemen. Es gibt kein Entkommen.

Hier ein sehr informativer Link über Monumental Art:
http://www.monumentalart.eu/01_Historia/galeria.htm

Freitag, 28. August 2009

und doch

...als ob es mich ein wenig versöhnlich stimmen wollte, haben sich heute das Universum und Danzig ganz in meinem Sinne verschworen. Die Postangestellte hat mich mit "kochanie" angeredet, die Blumenfrau mich angelächelt, obwohl ich nichts gekauft habe, sogar die Frau am Käsestand hat sich überschlagen vor Freundlichkeit.

Dann die klammheimliche Frage: Bin ich paranoid, wenn ich bei soviel Güte misstrauisch werde? Vielleicht kommt der Hammer noch geflogen...?
Zum Beispiel morgen und übermorgen, da wird das ZDF hier sein und mich während meines Alltags filmen. Ich habe demnach auch ohne Rücksicht auf Verluste die Tage geplant: Einmal steht Kayakfahren im Rahmen eines Kunst-Happenings an, dann ein Ausflug nach Zaspa, um die Wandmalereien zu begutachten. Volles Programm also. Und eigentlich soll ich einen Roman schreiben. Vielleicht heuere ich demnächst einen Ghostwriter an, talentierte Schreiber kenne ich genug...

Donnerstag, 27. August 2009

Die Unruhe vor dem Sturm

Noch fünf Tage bis zum 70. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs. Die Vorbereitungen in Danzig laufen auf Hochtouren, seit einigen Tagen meine ich, eine gewisse Nervosität in der Luft zu spüren. Alle Parks werden eifrig geschoren, Bürgersteige werden geschrubbt, auf öde Flecken Erde Grassamen gestreut. Die Stadt bereitet sich vor. Merkel, Putin, Sarkozy, es wird hoher Besuch erwartet.

Diese Nervosität hat sich auch auf mich übertragen. Heute vormittag bin ich mit einem Fernsehteam von der ARD auf der Westerplatte gewesen, in knapp zwei Stunden wurde ein kleines Gespräch und ein Spaziergang gefilmt. Rund um uns herum wuselten die Bauarbeiter, die Gärtner, die Bühnenarbeiter - die meisten waren gerade damit beschäftigt, riesenhafte Buchstaben an ein Gerüst zu befestigen: Nigdy wiecej wojny, Niemals wieder Krieg.
Ein paar Stunden später dann ein Radiointerview mit dem RBB, dem Rundfunk Berlin-Brandenburg, am Wochenende wird das ZDF da sein und ein Feature drehen - "wie das so ist, Stadtschreiber zu sein".

Darüber sollte ich mir beizeiten noch ein paar Gedanken machen. Ich glaube, es sollte entfernt etwas mit Schreiben zu tun haben. Momentan sind meine Nerven so gespannt, dass ich es gerade einmal schaffe, meine Stelle zu verwalten, ich bin mein eigener Sekretär. Nach dem 1. September, so habe ich mir versprochen, wird wieder geschrieben. Solange heißt es Zähne zusammenbeissen. Dann kann man auch nicht mehr so viel Jammern...

Dienstag, 25. August 2009

Papiergeburt

Jedes Mal wieder ein befremdend-beglückendes Gefühl, das, was man Tage, Wochen, Monate zuvor am Laptop geschrieben hat, ausgedruckt in den Händen zu halten. Wenn es durch den Datendschungel nur wie ein diffuser Geist geweht ist, hält man es nun leibhaftig in den Händen, und die Reaktion ist immer dieselbe: Ganz schnell durchlesen, was man da eigentlich geschrieben hat, sich selber kontrollieren, als würde man den zahllosen Lektüren am Bildschirm nicht zur Gänze trauen.

Der Eintritt also des Schriftlichen ins Materielle. Es ist, als ob dadurch selbst das Geschriebene seinen Korpus veränderte: Was zu Papier ward, lese ich meistens um vieles kritischer. Papier als Anspruch, als Anmaßung. Manchmal erscheint mir wirklich, dass das, was der Drucker beizeiten ausspeit, nicht identisch ist mit dem, was ich emsig in die Maschine getippt habe. Habe ich Tage zuvor von dem Körper des Schreibenden berichtet, wäre es nun an der Zeit, über den Körper des Geschriebenen nachzudenken.

Je nachdem, wie man ihn kleidet, bettet, so fallen einem unterschiedliche Dinge auf, profitiert man von der unterschiedlichen Darbietungsweise. Am Bildschirm zu überarbeiten, ist so viel dynamischer, ganze Szenen werden da verschoben, im nächsten Augenblick gelöscht, um sie dann wieder einzufügen.
Aber: Dass in dieser Szene eigentlich Herbst sein sollte, und nicht Frühling, das fällt mir dann doch eher auf dem Papier auf. Es ist ruhiger und zwingt zum genauen Lesen.

Montag, 24. August 2009

Störfrequenz

Und plötzlich bemerkenswerte Bilder dort, wo man sie nicht erwartet hätte; Arglos war ich ins Uphagen-Haus hineinspaziert, wollte mir den Nachmittag mit bürgerlicher Wohnkultur versüßen, und wie ich durch die Flure mit den Barockmöbeln und Biedermeier-Stühlchen spaziere, treffe ich plötzlich auf eine kleine Ausstellung, deren Gemälde ich auf den ersten Blick als epigonale Impressionismus-Spielereien abtue, gefällige Pastelltöne, nette Farbchangierungen, gar nicht unähnlich der "Kunst", die draußen auf der Straße den Touristen verkauft wird. Hübsche Ansichten von Gdansk, das Krantor bei Sonnenaufgang oder die Frauengasse bei Sonnenuntergang.

Dann, mit müdem Blick über die Bilder gestreift, eine Irritation: Irgendwas stimmt hier nicht, und zwar ganz und gar nicht. Die eben noch so einschmeichelnde Darstellung des Langen Ufers...mit fast völlig zerstörtem Krantor, die Bürgerhäuser daneben nur noch eine weggebrochene Zahnreihe. Auf den anderen Bildern, die zerschlagene Peinkammer, das niedergedrückte Hohe Tor, eine Wüste von Stadt. Und alles in Rosa und Flieder, Punkt an Punkt gereiht, so leicht zu übersehen, was hier eigentlich dargestellt wird…

Der Künstler heißt übrigens Ignacy Klukowski und war maßgeblich an der Rekonstruktion Danzigs und der Restaurierung vieler Skulpturen und Gemälde beteiligt. Als hätte Klukowski, bevor er sich an den Aufbau hatte machen können, erst die Vernichtung auf-zeichnen musste.

Samstag, 22. August 2009

Danzig à l'intime

Vor sechs Uhr morgens ist man mit Danzig allein, die Mottlau liegt schlafend da, das Krantor hüllt sich in Schweigen. Barylka und Goldwasser haben die Stühle noch nicht an die Tische gestellt, ein paar Möwen treiben verschlafen auf dem Wasser...

Was für eine wunderbare Option: Wenn man morgens um fünf nicht mehr einschlafen kann, weil einem eine Szene nicht aus dem Kopf geht, die man Tags zuvor noch entworfen hat, in die Schuhe zu fahren, in ein paar hundert Metern an der Brücke zu stehen und noch gar nicht richtig zu begreifen, wo man ist und warum...

Die sagenhafte Leere. Als hätte man in den letzten Tagen einvernehmlich beschlossen, Danzig zu verlassen, und alle wussten davon, nur ich nicht. Man sieht so viel mehr: Die Regenrinnen der Häuser, die Friese, die Schafgarbe, die aus einem Mauervorsprung herauswuchert. Den Leib Danzigs ganz vorsichtig betasten, sich an ihm entlang-tasten, dann, wenn noch keiner guckt, ihn keiner streitig macht und für sich beansprucht. Heute früh um halb sechs hat Danzig mir allein gehört.