Donnerstag, 3. Dezember 2009

Deutsche Welle

Heute im Café Ferber einer Journalistin von der Deutschen Welle ein Interview gegeben.
Nachdem in der Wärme des Cafés erst einmal Nasen und Hände wieder aufgetaut waren (über Nacht ist in Danzig der Winter ausgebrochen, auf dem Rasen im Park und den Autos auf der Straße lag Rauhreif) und sich die Bedienung dazu überreden ließ, die Musik abzustellen, wurde viel geredet über deutsche und polnische Selbstwahrnehmung und die mögliche Rolle eines "Stadtschreibers".

Denn was kann so eine Stelle (Ein "Amt", wie meine Position auf polnisch heißt) leisten, was bewirken? Dass es in keiner Weise mit der normalen Arbeit eines Schriftstellers zu vergleichen ist, das wusste ich schon kurz nach meiner Ankunft in Danzig.
Hier ging es um mehr, diese Tätigkeit war auch politische Botschaft, war ein Stipendium von politischem Ausmaß.

Auf die Frage hin, was ich denn hier alles getan hätte, und ich alle Verpflichtungen heruntergeschnurrt hatte, machte die Journalistin große Augen und fragte "Und all das in 5 Monaten?"
Ja, sagte ich, all das in 5 Monaten, und sogar ein bisschen zum Roman-Schreiben bin ich gekommen, ab und zu.

Dienstag, 1. Dezember 2009

1. Dezember

Der Dezember zeigt sich gleich am ersten Tag von seiner ungnädigen Seite: Seit heute morgen ist es nicht ganz hell geworden, und in zwei Stunden wird sich das Grau des Tages wieder rasch ins Schwarz des Abends und der Nacht verwandeln.
Noch im Sommer hätte ich nicht geglaubt, dass mir ein Weihnachtsmarkt fehlen würde, der sich durch die Straßen zieht und mit allerhand Licht und Leckerei die Gemüter aufheitert... Meine Freundin Aga berichtete, vor dem Theater würde am Wochenende ein großes Zelt aufgebaut werden, in denen einige Stände sein würden... Es ist einfach nicht dasselbe.

Eine Bekannte ist gestern enerviert nach Warschau abgereist, sie halte es in Danzig manchmal nicht länger aus, und dabei arbeite sie schon seit zwei Jahren in der Stadt und könne sich trotzdem nicht an sie gewöhnen. Nun besucht sie ihre Freunde in der Hauptstadt und genießt die Möglichkeit, jeden Tag in 20 verschiedene Galerien und Vernissagen gehen zu können.

Ich habe wenig Grund zu klagen - eine Stadt von der Größe Danzigs liegt mir viel mehr, und an kulturellem Angebot mangelt es auch hier ganz bestimmt nicht. Ich weiß gar nicht, wie viele Konzerte, Vernissagen und Lesungen ich verpasst habe, weil ich mir in den Kopf gesetzt habe, zu schreiben. Nein, nach Warschau zieht mich nichts!

Sonntag, 29. November 2009

Lächeln!

Heute: Ein grauer, verregneter Tag, gegen drei Uhr begann bereits die Dämmerung...Ein Tag, wie geschaffen, um ihn daheim im Sessel, mit Unmengen Tee und einem guten Buch zu verbringen.
Was aber tun, wenn es einen einfach immer nach draußen treibt, weil man das Gefühl hat, man verpasst etwas in dieser Stadt, wenn man nicht rausgeht und durch die Straßen streift?

Dann heißt es, Regenjacke an, Winterstiefel (hohes Profil!) an und; dem Regen und der Kälte getrotzt. Grübeln kann man ja bekanntlich bei jedem Wetter, und so zog ich, meinen Gedanken nach hängend, durch die Innenstadt, die Kapuze tief in die Stirn gezogen. Sogar die Tauben saßen ganz nass und zerzaust auf den Stufen des Artushofes, es war ein Bild zum Erbarmen.

Meine Laune, so gedämpft sie auch war, schlecht war sie ganz bestimmt nicht; jeder kennt den Gesichtsausdruck, den man hat, wenn man konzentriert ist... Gerade, als ich in die Lektykarska-Straße einbiegen wollte, sprang mir ein älterer, deutscher Tourist in den Weg und quietschte: "Lächeln!"
Es geht nichts über gut gelaunte Zeitgenossen!

Freitag, 27. November 2009

Spiegel-Bild

Heute ein bezauberndes Erlebnis auf der Swietojanska-Straße, unweit meiner Wohnung: Ein Mann trug einen Barock-Spiegel seitlich unter dem Arm, ja, er schleppte ihn förmlich, so schwer war er.
Und wie er über die Straße ging, hielt er den Spiegel just in so einem Winkel, dass sich ein Teil der Marienkirche und des davor liegenden Parkes in ihm spiegelte...
Verfremdete Realität! ... was so ein Ausschnitt bewirken kann: die Bestürzung, dass es nicht allein die Realität der Welt gibt, sondern ebenfalls die Realität der Spiegel.

Schade, dass ich nicht rechtzeitig meine Kamera zücken konnte für dieses Doppelte Danzig. Jedenfalls musste ich gleich an die Rolle der Literatur denken, vor allem natürlich: Literatur über Danzig.
Auch sie versucht Danzig abzubilden, tut so, als würde sie wirklich Danzig abbilden, aber dennoch ist es immer: die Realität des Spiegels. Es sieht nur so aus, in Wirklichkeit ist es etwas anderes, eine Paralleldimension. Literatur.

Mittwoch, 25. November 2009

Die Post

Mittlerweile glaube ich, der "offizielle" Ort, den ich am häufigsten während meines Besuches aufgesucht habe, ist die Post auf der Langgasse. Heute war ich wieder da, ein paar Weihnachtspostkarten und ein Karton für ein Weihnachtspaket wollten eingekauft werden... ich bin unheimlich gerne auf der Post, sitze auf den Eichenbänken, befühle die kleinen Löwenköpfe, die die Bänke abschließen und betrachte das Taubenrelief, was die Wand schmückt.

Oft kommen Touristen hinein, einfach nur, um den Raum zu bewundern. Er gehört definitiv zu den Räumen an der Langgasse, die man gesehen haben muss. Ich bin mir sicher, viele ziehen einfach nur aus Spaß eine Nummer aus dem kleinen Automaten am Eingang.

Schon so oft habe ich das Taubenrelief bewundert, aber erst, als ich neulich etwas Geld überweisen wollte und eine Kindergartengruppe den Raum betrat, habe ich erst ihren tieferen Sinn verstanden.
Die Kindergärtnerin fragte die Kleinen, was sie da oben sähen - Tauben! - und erklärte ihnen, dass die Tauben deshalb dort seien, weil in früheren Zeiten eben die Tauben die Post gebracht hätten.
"Das glaub ich nicht", sagte da ein kleines Kind.

Montag, 23. November 2009

Farbe. Einfärbung

Ausgiebiger Spaziergang durch die Vor- und Niederstadt mit Aleksander Maslowski, einem stadtbekannten (und darüber hinaus) Danzig-Experten. Was er auf einer seiner Seiten (www.rzygacz.webd.pl) betreibt, kam auch während des Gangs zum Tragen: die Aneignung und das Verständnis von Geschichte mithilfe persönlicher Geschichten, Geschichten "normaler" Menschen und Orten.

Die große Geschichte kennt jeder. Die Kleine kennen nur wenige. Und sei es, dass sie schmackhafter gemacht wird mithilfe von Anekdoten, Legenden, Sagen, Mythen: All das gehört zu dem, was wir Geschichte, was wir menschlich nennen. Nichts anderes ist Geschichte.
Zu den Bastionen Maidloch und Gertrud gewinnt man ein ganz anderes Verhältnis (überhaupt: ein Verhältnis), wenn man erzählt bekommt, dass zwischen ihnen, am Ufer des Grabens, ein deutscher Soldat, der dort erschossen wurde, begraben liegt. Und das Rauschen des Schilfes im Ohr: Natürlich, ein Flüstern. Geschichte wird so unmittelbar, be-rührend.

Über die Schienen, die zum alten Güterbahnhof führten, sind wir weiter bis zur Steinschleuse gestolpert. Von dort aus sind wir zu der Ruine eines Hauses hinüber gegangen, vor der drei aufeinander gestapelte Klötze liegen, bislang sind sie mir niemals aufgefallen.
Als wir näher kamen, erkannte ich ein Denkmal für die Gefallenen des ersten Weltkrieges - in fein ziselierter Frakturschrift. Aleksander erklärte, das Denkmal wurde aus irgendeinem der umliegenden Dörfer hierher geschafft, wahrscheinlich, um es zu zerstören. Ein paar Meter hinter dem Denkmal lag der Kiefer eines Hundes, vielleicht.

Freitag, 20. November 2009

Olivaer Forst




Der November verwöhnt die Stadt: kristallklare Luft und blendender Sonnenschein! Fahrt mit Andrzej hinaus nach Oliva. Erst der obligate Bummel vorbei an im Tiefschlaf versunkenen Villen (Dornröschen!, musste ich denken), weiter vorbei am Park und der Kathedrale, am Markt entlang, die Mühle hinter sich lassen.

Auf dem Weg hinauf zur Aussichtsplattform liegen die Blätter kniehoch! Wie die Kinder planschten wir im Buchengeblätt, lachten bis wir heiser waren und die Hälse von der kalten Luft schmerzten. Schweren Atems oben ankommen, bis zum Meer blicken, da hinten, die Marienkirche, ganz links Sopot, und hinter einem: Der Wald, die Moränen. Atemberaubend schön.

Andrzej erzählte, in Sopot könne man auch Ski fahren. Zwar nicht ganz wie in den Bergen, aber immerhin...
Mittlerweile glaube ich, es gibt in Danzig nichts, was es nicht gibt.